30.10.2018      NEXUS-News

Klinisches Risikomanagement: Ohne Wissen geht es nicht

Risikomanagement in Krankenhäusern dient dazu, Gefahren und Fehler in der Patientenversorgung systematisch zu vermeiden und die Patientensicherheit zu erhöhen. Um Risiken zu erkennen und zu minimieren, ist strukturiert vorliegendes und verfügbares Wissen eine Grundvoraussetzung, denn nur informierte Mitarbeiter können im Bedarfsfall richtig reagieren.

Veränderte rechtliche Rahmenbedingungen haben in den letzten Jahren zu viel Bewegung in diesem Bereich geführt. Die Einführung eines im Praxiseinsatz funktionierenden Risikomanagement-Systems hat sich zu einer substantiellen Aufgabe für Gesundheitseinrichtungen und deren Management entwickelt. Mehr und mehr zeigt sich, dass es nicht ausreicht, pro forma einige wenige Strukturen zu definieren, die in ihrem Verwaltungs-Elfenbeinturm ein trostloses Dasein fristen. Eine kurzfristige Marketing-Aktion, ein einmaliges Zertifikat oder die bloße Beauftragung werden in Zukunft nicht mehr ausreichen, um die gestiegenen Anforderungen zu erfüllen. Risikomanagement-Systeme müssen leben und sich weiterentwickeln.


Softwaresysteme lohnen sich, wenn sie wichtige Prozesse einer Organisation effizienter gestalten. Daneben sind im Wesentlichen drei Treiber auszumachen, die dazu geführt haben, dass das Thema Risikomanagement in Krankenhäusern mittlerweile eine zentrale Rolle einnimmt:

 

1. Das Patientenrechtegesetz

 

Mit dem 2013 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patienten und Patientinnen (PatRG) wurde die Einführung eines Fehlermeldesystems sowie eines Risikomanagementsystems verbindlich vorgeschrieben. Besonders brisant wird dies in Bezug auf Haftungsfragen im Schadensfall: Die Beweislast geht auf den Behandler über, wenn die gesetzlich geforderten Strukturen oder der sogenannte „fachliche Standard“ nicht vorhanden bzw. dokumentiert sind – mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Einrichtung und persönlichen Konsequenzen für das verantwortliche Management.

 

2. DIN ISO 9001:2015

 

Mit der Überarbeitung der Norm DIN ISO 9001:2008 auf die DIN ISO 9001:2015 kam die zentrale Forderung hinzu, dass ein in das Qualitätsmanagement integriertes Risikomanagement-System vorhanden sein muss. Spätestens bei einer anstehenden (Re-)Zertifizierung oder Akkreditierung ist eine Auseinandersetzung mit der Thematik erforderlich. Darüber hinaus beziehen sich auch vermehrt vertragliche Regelungen in Geschäftsbeziehungen auf Nachweise entlang der DIN ISO 9001 – diese Entwicklung betrifft nunmehr auch das Risikomanagement.

 

3. Anforderungen des G-BA

 

Gesetze werden – wenn schon nicht für die Ewigkeit – so doch mit einem langfristigen Horizont erarbeitet. Das hat zur Folge, dass der Gesetzestext oft an Klarheit vermissen lässt und man konkrete Anforderungen vergeblich sucht. Aus diesem Grund hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen einen Anforderungskatalog erarbeitet, der als Mindeststandard für Risikomanagementsysteme im Gesundheitswesen gilt.

 

Anforderungen an das Risikomanagement-System

 

Im Detail fordert der G-BA für klinische Risikomanagement-Systeme, dass Risiken strukturiert zu identifizieren und zu analysieren sind. Dabei wirken in der Regel verschiedene Arbeitskreise und Teams zusammen, die zu koordinieren sind und gemeinsam auf das organisationsbezogene Wissen zugreifen müssen. Risikobewertung ohne systematisches Wissensmanagement ist nicht möglich. Die Gestaltung des Risikoatlas kann eng an bestehenden Wissensbeständen, etwa in Form von Pflegestandards und anderen klinischen Verfahrensanweisungen, ausgerichtet werden. Der Einsatz vorgefertigter Kataloge mit Musterrisiken empfiehlt sich nicht, da mit der Ad-hoc-Implementierung einer Vielzahl an Risiken diese auch ad hoc beherrschbar gemacht werden müssen. Dagegen führt der schrittweise Aufbau des Risikoatlas entlang der Anforderungen des einzelnen Hauses zu einem praktizierbaren Risikomanagement.


Gleiches gilt für die Festlegung geeigneter Maßnahmen zur Reduktion der Risiken auf ein Minimum. Ein in das Risikomanagement-System integriertes Maßnahmenmanagement legt klare Zuständigkeiten und saubere Arbeitslisten fest. Eine weitere Forderung des G-BA besteht darin, dass die Risikostrategie als Führungsaufgabe zu sehen ist. Die Leitungsebene lässt sich etwa über mehrstufige Genehmigungsworkflows und Reportings einbinden. So kann schnell ermittelt werden, welche Maßnahmen mehr oder weniger zu priorisieren sind.

 

Fehlermeldesystem (CIRS) und Beschwerdewesen

Eine Möglichkeit, Risiken zu identifizieren, ist das hauseigene Fehlermeldesystem. Auch hierzu gibt es gesetzliche Regelungen, die vor allem darauf abstellen, dass derartige Systeme allen Mitarbeitern niederschwellig zugänglich sein müssen. Außerdem müssen Meldungen freiwillig und anonym abgegeben werden können und das Haus muss sich an einem einrichtungsübergreifenden Fehlermeldesystem beteiligen.

 

Integration in das Qualitätsmanagement

Sowohl der Gesetzgeber als auch der G-BA fordern ausdrücklich die Integration des Risikomanagements in das Qualitätsmanagement. Dennoch lässt sich beobachten, dass teilweise eigene Gremien und Abteilungen für das Risikomanagement geschaffen wurden. Die so entstehende Doppelstruktur mit eigenen Prozesslandschaften, Maßnahmenkatalogen und Verantwortlichkeiten ist in diesem Fall meist in sich widersprüchlich. Eine engere Verzahnung der beiden Management-Systeme kann in der Praxis zum Beispiel so aussehen, dass die Prozessverantwortlichen im Rahmen des Qualitäts-/Maßnahmenmanagements auch für die dort entstehenden Risiken zuständig sind. Über die Verknüpfung von Risiken und Maßnahmen mit der Vorgabedokumentation im Rahmen des Qualitätsmanagements kann auch hier gemäß dem Plan-Do-Check-Act-Prinzip (PDCA-Zyklus) vorgegangen und evaluiert werden.


Das Gesundheitswesen ist eine Branche mit eigenen Gesetzmäßigkeiten – dies sollte bei der Einführung eines Risikomanagement-Systems beachtet werden. In der Industrie werden Prozesse und Risiken oft in kleinste Schritte zerlegt – bis hin zu einem Grad an Formalisierung der Abläufe, der in der Pflege und Behandlung von Menschen nicht immer anwendbar ist. Sind die Modelle und die Software zu komplex, neigt das System zum Elfenbeinturm-Dasein und entfaltet in der Realität kaum Wirkung. Im Rahmen von Zertifizierungen fällt dies im günstigen Fall bei der Betrachtung der „Durchdringung“ auf, im schlechtesten Fall bei der nicht verhinderten Schädigung von Patienten.

 

 

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