20.09.2019      Gesundheitsmarkt      Branchen-News      Gastautor: Miriam Mirza

Haftungsfragen für digitale Services

Die Digitalisierung eröffnet neue, spannende Möglichkeiten der Behandlung – wie die Telemedizin oder das Telemonitoring. Doch sie bringt auch neu aufkommende Fragen der Haftung mit sich. Wer haftet beispielsweise, wenn Behandlungsfehler passieren, weil die Technik versagt, Reaktionszeiten überschritten werden oder Patienten Eingabefehler machen?

Ein Beispiel: Es gibt inzwischen Krankenhäuser, die Telemonitoring von etwa Defibrillatoren durchführen. Stellen wir uns vor, ein Kardiologe hat Rufbereitschaft im Homeoffice und überwacht per Handy-App Patienten mit implantierten Defibrillatoren. Die App alarmiert den Arzt, weil Patient X ein signifikant erhöhtes Risiko für einen unangebrachten Defibrillatorschock hat. Was passiert, wenn der Arzt die Meldung nicht erhält, weil er in einem Funkloch steckt oder das Handy gerade aus ist? Oder er ignoriert sie, weil er sie für nicht so wichtig hält. In solchen Fällen sehen sich Ärzte, Kliniken, oder auch Hersteller mit Haftungsrisiken konfrontiert.

 

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass es haftungsrechtlich entscheidend ist, dass bei jeder medizinischen Behandlung – und dazu zählen eben auch telemedizinische Behandlungen – der Facharztstandard gilt. Der Begriff steht für den rechtlichen Anspruch eines Patienten auf den Standard eines erfahrenen Facharztes, also auf lückenlose fachkompetente Behandlung in jedem Bereich ärztlicher Versorgung.

 

Schaden vom Patienten fernhalten

In Bezug auf z.B. die Fernbefundung und -behandlung muss sichergestellt sein, dass je nach Risiko der Untersuchung oder des Eingriffs für den Fall der Fälle ein Facharzt anwesend oder so erreichbar ist, dass er innerhalb möglichst kurzer Zeit eingreifen kann. Wird etwa in einem Krankenhaus auf der Station Telemedizin betrieben, ist der Chefarzt verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Patient nicht geschädigt oder gefährdet wird. Dazu muss er ausreichende ärztliche Anordnungen und organisatorische Maßnahmen treffen.

 

Um sich rechtlich abzusichern, ist die Aufklärungspflicht eine der wichtigsten Maßnahmen bei der Anwendung digitaler Dienste. Mediziner müssen Patienten darüber aufklären, welche Funktion ein Gerät übernimmt. Ist beispielsweise nicht sicher, ob die Diagnose per Telemedizin qualitativ einer persönlichen Vorstellung bei einem Konsiliararzt entspricht, muss der Patient darüber aufgeklärt werden. Natürlich hat dies adressatengerecht zu geschehen und muss dokumentiert werden. Darüber hinaus ist der Arzt verpflichtet, etwa bei der Nutzung von Telemedizin, sich selbst über den Einsatz der digitalen Technik zu informieren, zu prüfen sowie zu kontrollieren, ob die für die telemedizinische Behandlung notwendigen Diagnosedaten auch wirklich und in ausreichender Qualität übertragen wurden.

 

Schließlich muss der Arzt sicher gehen und prüfen, ob der Patient seine Mitwirkungspflicht an der Behandlung verstanden hat. Das kann beispielsweise in Form der Auslösung der Datenübertragung per Telefon sein. Kommt der Arzt zu dem Schluss, dass der Patient dies nicht verstanden hat, muss er einschreiten, denn es besteht auf seiner Seite eine Interventionspflicht.

 

Technische Mängel

Die Frage der Gerätesicherheit in der Telemedizin ist ein weiterer kritischer Punkt. Hier geht es im Wesentlichen um die Einhaltung aller Vorgaben für die Gerätesicherheit. In Bezug auf die Telemedizin ergeben sich hauptsächlich Anforderungen für die Nutzung qualitativ einwandfreier Kommunikationsmittel sowie die qualitativ einwandfreie Schulung des Personals.

 

Für viele mögliche Haftungsszenarien gibt es noch keine juristisch haltbaren Kriterien. Erste Anfänge sind gemacht, aber es müssen noch weitere folgen. Das Thema wird Juristen und Mediziner also noch eine Weile beschäftigen. Das Interesse an digitalen Lösungen für das Gesundheitswesen ist dessen ungeachtet sowohl von Seiten der Mediziner als auch der Patienten ungebrochen, denn sie bergen viele Vorteile für die Behandlung von Patienten. Vor allem, wenn sie ärztliches Handeln unterstützen und da Zugang zu medizinischer Fachexpertise gewähren, wo dies ohne technische Lösungen nur schwer möglich ist. Die Ankündigung des Bundesgesundheitsministeriums, dass Apps künftig verschreibungsfähig werden, zeigt, dass auch von politischer Seite digitale Lösungen für das Gesundheitswesen weiter gefördert werden. Für deren erfolgreiche Einführung ist die eindeutige Festlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen unabdingbar.

Über den Autor

Die Journalistin Miriam Mirza hat Germanistik und Anglistik studiert und arbeitet als Fachredakteurin für das Magazin E-HEALTH-COM. Sie schreibt unregelmäßig als Gastautorin für das Magazin.

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